Donnerstag, 16. Juni 2016

Es war mein Traum

Nachdem Christine neulich schon ein abschließendes Statement zu unserem Leben auf der Gipsy IIII abgegeben hatte, möchte ich nun auch mal so etwas wie eine Zusammenfassung versuchen.

Die Reise hat nun fast 6 Jahre gedauert, wenn wir den Start in Emden am 17. Juli 2010 und den Tag, an dem wir die Bootsschlüssel übergeben werden (22. Juni 2016), als Anfang und Ende definieren. Wenn man die Zeit, die wir zwischendurch immer mal wieder zu Hause verbracht haben, abzieht, verbleiben netto 1734 Reisetage. Davon haben wir 169 Tage auf See verbracht, an denen wir in Summe 20.600 Seemeilen zurückgelegt haben. Insgesamt sind wir 296 Ankerplätze und 44 Marinas in 32 verschiedenen Ländern angelaufen (wobei z.B. die 2 französischen Karibikinseln und alle 13 angelaufenen Inseln Französisch Polynesiens jeweils summarisch als 1 Land gezählt und nicht in Frankreich enthalten sind). Schon aus diesen Zahlen ist ersichtlich, dass wir bei weitem die meiste Zeit auf Ankerplätzen verbracht haben, von denen uns einige als unvergessliche Naturspektakel in ewiger Erinnerung bleiben werden. Damit diese Erinnerung jederzeit wieder aufgefrischt werden kann, sind ca. 49.000 Fotos entstanden sowie stundenweise Videomaterial. Um an dieser Stelle auch die viel gestellte Frage zu beantworten, wo es uns am besten gefallen hat: Schwer zu sagen, aber ganz vorne in Sachen Erlebniswert liegen jedenfalls Fiji, die Gesellschaftsinseln und Samoa. Die Leser dieses Blogs wissen, dass auch viel getextet wurde. Die veröffentlichten Reiseberichte füllen mittlerweile 1.302 Seiten in MS-Word (Arial, Schriftgröße 12. In diesem Programm schreibe ich die Texte, die anschließend nach Live-Writer exportiert und mit diesem gepostet werden). Mehr als 300.000 Zugriffe auf die Berichte zeugen davon, dass uns einige hundert Interessierte täglich virtuell begleitet haben und auch die youtube-Videos des Gipsy IIII Kanals sind mittlerweile mehr als 10.000 mal angeklickt worden.

So weit, so trocken. Aber was macht nun eigentlich den wirklichen Reiz so eines Blauwasserlebens aus? Ist es das Ausbrechen aus einem Alltagstrott, Jobmüdigkeit, die Flucht vor kaltem und miesem Europawetter? Die Sehnsucht nach Dauer-Urlaub? Das Verlangen, es endlich mal ruhig angehen lassen zu können? Für mich trifft nichts von alledem zu.

Schon als kleiner Junge haben mich meine Tante und mein Onkel am Wochenende öfters mit zum Dümmer See genommen, wo sie auf einem Campingplatz zunächst ein Zelt und später einen Wohnwagen hatten. Als ich etwa 6 Jahre alt war, baute mein Onkel sein erstes Boot, eine kleine Jolle aus Holz, ein Karwel-beplankter „Pirat“. Ein paar Jahre später baute er einen „Zugvogel“, etwas größer und diesmal aus Sperrholz. Sie nannten ihn Gipsy. Das kleine Kajütboot, das dann folgte, ein 16er Jollenkreuzer, bekam den Namen „Gipsy II“. Als ich gerade 16 war, verstarb mein Onkel im Alter von 49 Jahren und ich erbte das Boot. Ich erbte es nicht im rechtlichen Sinne (denn es gehörte anschließend meiner Tante), aber praktisch. Eigentlich erbte es auch mein bester Freund in diesem Sinne mit, denn in den folgenden Jahren verbrachten wir viel gemeinsame Zeit auf und mit dem Boot. Wir segelten auf dem Dümmer, über die holländischen Kanäle und im ost- und westfriesischen Wattenmeer. Im Herbst und Winter gab es an dem Holzboot immer viel zu verbessern und instand zu setzen, so dass unser Leben zu dieser Zeit, sowohl in der Segelsaison, wie auch in der kalten Jahreszeit, sehr stark davon beeinflusst war.

Nachdem ich quasi mit der Segelei groß geworden war und meine Berufswahl zumindest indirekt auch damit zusammen hing, wurden die Boote während meiner Zeit bei der Bundesmarine größer und zu Schiffen. Erst Kielyachten, dann Windjammer. Auf der Gorch Fock war ich einige Jahre als Ausbildungsoffizier tätig und lernte, ein 90-Meter-Schiff mit 2000 Quadratmetern Segelfäche und 200 Mann an Deck zu „dirigieren“.

Während meiner ersten Zeit als Führungskraft an Bord einer Fregatte hatte ich einen Mitarbeiter, Obermaat seines Zeichens, der sich Urlaub mehrerer Jahre aufgespart hatte und für einige Monate durch Alaska gewandert war. Allein. Was er anschließend von der Reise erzählte, faszinierte mich. Und ich war schwer beeindruckt. Wie er auf ein paar Meter an Grizzlybären heranging, um sie zu fotografieren. Weit und breit kein Mensch in der Nähe, der hätte helfen können. Ich fand diese Unternehmung unglaublich mutig, hätte mir das aber selbst im Leben nicht zugetraut. Doch irgendetwas in der Art würde ich auch gern einmal machen wollen. Etwas Besonderes. Etwas Anspruchsvolles. Irgendeine tolle Sache mit hohem Erlebniswert. Damals war ich 24.

Etwa zur gleichen Zeit las ich ein Buch aus der Bordbibliothek. „Astronavigation“ von Bobby Schenk. Sehr verständlich geschrieben, leicht zu begreifen, obwohl die Materie eigentlich mathematisch ziemlich kompliziert und von daher nicht unbedingt auf mich zugeschnitten war. Geschrieben von einem Weltumsegler. Ich las andere Bücher von anderen Weltumseglern. Und hatte mein besonderes Projekt gefunden.

Blieb noch zu klären, wann das Ganze losgehen sollte. Da man für eine Weltumsegelung ein Boot braucht, die Tour auch mindestens 3 Jahre dauert, wenn man nicht nur segeln, sondern auch was sehen will, war mir sofort klar, dass es zunächst einmal darum gehen muss, beruflich etwas auf die Beine zu stellen, um so ein Projekt finanzieren zu können. Nach meiner Marinezeit folgte eine Managerlaufbahn in einem großen Nahrungsmittelkonzern und es wurde mir schnell bewusst, dass man so eine Karriere nicht gut für eine längere Zeit unterbrechen kann. Jedenfalls nicht, wenn man will, dass es anschließend positiv weitergeht. Daraus folgte für mich: Erst das Geld verdienen, und dann frühzeitig aufhören. Das Ziel hieß: Fünfzig! Und man sollte es unbedingt hinkriegen, dass man nicht selbst kündigen muss, sondern im günstigsten Fall im Rahmen größerer Restrukturierungen in bestem gegenseitigen Einvernehmen mit einem - wenn schon nicht goldenen, so doch mit einem silbernen oder bronzenen - handshake aussteigt. Als sich die Gelegenheit bot, bin ich gezielt darauf losgegangen, nachdem ich mit Christine in langen Gesprächen das weitere, gemeinsame Vorgehen abgestimmt hatte. Ich war 52. Obwohl das Ziel nun zum Greifen nahe war, ist der tatsächliche Schritt dann doch nicht ganz so leicht gefallen. Schließlich hatte ich einen tollen Job in einem erstklassigen Konzern. Gutes Gehalt, Anerkennung, interessante Aufgaben, prima Kollegen und meistens auch hervorragende Chefs. Aber die Zweifel waren nur vorübergehend. Nachdem die Entscheidung gefallen war, habe ich sie bisher keine einzige Sekunde lang bereut.

Also, was ist es nun? Warum tut man sich das an, Heimat, Freunde und Verwandte für eine unbestimmte Zeit zu verlassen und ein schönes, komfortables Haus im Wienerwald gegen ein kleines Boot einzutauschen? Zunächst mal war es einfach die Verwirklichung eines Traums, der mich über Jahrzehnte begleitet hatte. Die Vorstellung, mit einem eigenen Boot, vollkommen auf sich selbst gestellt, über die Weltmeere zu segeln und zu Plätzen zu kommen, die man als normaler Tourist nie erreichen würde, übte einfach einen starken Reiz auf mich aus. Mir war dabei immer klar, dass die Umsetzung nicht ganz einfach werden würde. Aber das war ein weiterer Reiz. Die Herausforderung anzunehmen. Ein Projekt aufzusetzen, einen Plan zu machen. Und ich wusste, dass ich das konnte. Herausforderungen zu bestehen und Ziele zu erreichen, verschafft Zufriedenheit. Mit sich selbst. Und das ist ein gutes Gefühl.

Schon das Abarbeiten der einzelnen großen Projektschritte war mit Erfolgserlebnissen verbunden: Zunächst einen guten Ausstieg aus dem Job erreichen, dann das Haus verkaufen, parallel dazu eine Wohnung am anderen Ende Österreichs finden und ein Boot in England kaufen (weil sie dort wegen des gefallenen englischen Pfunds günstiger waren). Dieses dann in monatelanger Arbeit in Emden nach und nach aufrüsten, bis es den eigenen Vorstellungen in punkto Komfort und Sicherheit entspricht. Man ist bei alledem nicht ganz ohne äußere Zwänge. Es gibt z.B. Budgetrestriktionen (eh klar). Aber keinen Chef mehr zu haben, auf keine Konzernpolitik mehr Rücksicht nehmen und nicht jeden Tag ins Büro fahren zu müssen, sondern vollkommen frei entscheiden zu können, wann man am Morgen aufsteht, hat schon was. I can tell you! Auch wenn man dann unter Umständen mehr arbeitet, als das im Büro der Fall gewesen wäre. Denn Arbeit gab es permanent. Ob es galt, das Boot instand zu halten, Ersatzteile zu beschaffen, sich mit Reiseplanung zu beschäftigen oder schlicht, den Kahn zu navigieren. Das wäre also Motiv Nummer eins: Eine Herausforderung zu einem besonders interessanten Projekt anzunehmen und zu meistern.

Ein zweiter großer Motivkomplex ist die innige Beziehung zur Schönheit dieser Welt, der man bei einem Blauwasserleben oft sehr nahe ist. Hierzu würde ich alles das zählen, was jedermann als tolle Urlaubserlebnisse bezeichnen würde. Zum Beispiel: Das Segeln bei guten Wetterbedingungen, auf 5000 Meter tiefem, tiefblauen Wasser. Sich samt seines Domizils tausende von Meilen zu bewegen, angetrieben nur von der Kraft des Windes. Das bisschen elektrische Energie, das man verbraucht, liefern die Solarpanele. Genug Zeit zu haben, sich des Privilegs, dieses genießen zu dürfen, bewusst zu werden. Noch ein tolles Gefühl.

Dann die wunderschönen Ankerplätze mit glasklarem Wasser unter dir und palmengesäumten Sandstränden in Griffweite. Ins Wasser springen zu können und die faszinierende Welt von Korallenriffen mit ihrem unbeschreiblichen Artenreichtum hautnah bestaunen zu können. Bunte Fische en masse, Rochen, Mantas, Haie, Delfine, Wale. Ein Schmaus, insbesondere für die Augen. Traumhafte Sonnenauf- und Untergänge. Das Bewusstsein, dies jetzt in diesem Augenblick nicht mit hunderten anderen Touristen teilen zu müssen.

Zu diesem Motivkomplex gehört selbstverständlich auch das Kennenlernen anderer Kulturen und Lebensformen. Unmittelbar zu erleben, dass Glück und Zufriedenheit nicht von äußerem Wohlstand abhängt, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir Wohlstand normalerweise definieren. Es ist wunderbar, willkommen geheißen und in eine Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Die vielen lachenden Gesichter, die wir insbesondere im Pazifik gesehen haben, werden uns immer im Gedächtnis bleiben. Manche Riten, wie das Sevusevu in Fiji, erscheinen einem zunächst „strange“. Es dauert aber nicht lange, bis man den Sinn und die positive Strahlkraft, die darin verborgen liegt, erkennt. So tief in fremde Sitten einzutauchen, wird einem in kurzen Urlaubswochen in der Regel nicht gelingen.

Und hierher gehören natürlich auch die ganz „normalen“, für jedermann buchbaren Sehenswürdigkeiten und Events, ob es sich dabei um speiende Vulkane, Ulurus, Museen oder Kulturfestivals handelt.

Der dritte „Bringer“ ist die Cruiser Community. Damit meine ich die vielen anderen Blauwassersegler, die man auf den Ankerplätzen dieser Welt trifft. Alles Menschen, die einen großen Schritt getan haben, außergewöhnliches zu ersegeln. Und die sind durchweg hochinteressante Gesprächspartner, ganz unabhängig davon, ob man mit einem Kieferchirurgen, einer Universitätsprofessorin, einem LKW-Fahrer oder einer Sekretärin redet. Denn Klassenunterschiede gibt es in dieser Gemeinschaft nicht, auch wenn man die budgetären Möglichkeiten der betreffenden Personen an deren Booten schnell erkennen kann. Die Kontakte sind ruckzuck hergestellt, wenn man halbwegs englisch spricht. Es gibt selbstredend immer reichlich Gesprächsstoff, schon weil die Interessen in die gleiche Richtung zeigen. Dennoch wird nicht ausschließlich über Boote, Ausrüstung, Reparaturen, Reiseerlebnisse und nächste Ziele gesprochen, sondern auch über persönliche Dinge. So entwickeln sich Freundschaften, die oftmals nur über große Entfernungen weitergeführt werden können, die ich aber nicht missen möchte.

Nun geht diese besondere Zeit also ihrem Ende entgegen. Ich hätte gern noch einige Jahre weiter gemacht und Ziele in Indonesien, Malaysien, Thailand und Afrika angesteuert. Dann über den Südatlantik nach Brasilien, zurück in die Karibik und hoch bis nach New York. Ein Foto von der Gipsy IIII vor der Freiheitsstatue wäre noch was gewesen. Wird aber nichts draus. Wenn man zu zweit unterwegs ist, muss man Kompromisse schließen, auch wenn das in diesem Fall eine harte Nuss für mich war und derzeit auch noch ist. Das Boot zu verkaufen, fällt mir deutlich schwerer und nimmt mich emotional mehr mit, als z.B. der Verkauf des Hauses, in dem wir 10 Jahre gewohnt hatten, bevor wir diese Reise antraten. Trotzdem: Ich bin Christine unendlich dankbar, dass sie bis hierher durchgehalten hat, denn es war nicht immer leicht für sie. Nachdem sich neben dem Thema Seekrankheit nun auch noch Ängste vor dem offenen Meer und eine wachsende Abneigung gegen die Unbequemlichkeiten des Lebens an Bord eingestellt haben, war die Zeit gekommen, die Realitäten anzuerkennen und eine weitreichende Entscheidung zu treffen. Allein zu segeln, ist nicht mein Ding. Wenn man die Freude über die Schönheiten dieser Welt mit niemandem teilen kann, ist sie jedenfalls deutlich weniger als die Hälfte wert. Und mit Crew segeln mag ich auch nicht, ganz abgesehen davon, dass unsere Beziehung dann über lange Strecken durch Ozeane getrennt gewesen wäre.

Wir sind übrigens nicht die einzigen, denen es so ergeht. Die Liebe zu dieser Lebensform ist bei den meisten Paaren unterschiedlich stark ausgeprägt. Meistens – aber nicht immer – sind es die Frauen, die dem Ganzen vorzeitig ein Ende setzen wollen. Manche Fahrt endet schon in Europa, viele in der Karibik, einige hier in Australien. Spontan fallen mir 6 andere Crews ein, die wir persönlich kennen, deren Boote in Australien oder Neukaledonien in der letzten Zeit verkauft wurden. Manche bedauern diesen Schritt im Nachhinein. Einige wenige Beziehungen, die im Laufe der Reise zusehends schwierigere Herausforderungen zu bestehen hatten, erleben nun zu Hause noch größere Probleme. Wir sind zuversichtlich, dass uns das erspart bleibt.

Wenn ich auf meine fast 60 Lenze zurückblicke, dann gab es viele tolle Jahre. Aber die besten waren ganz sicher die letzten sechs. Was kommt also danach? Schwer vorstellbar, dass da noch was draufzusetzen ist. Wenn wir die Gipsy verlassen, wollen wir noch ein paar Wochen mit dem Auto durch Australien fahren, bevor es nach Hause geht. Reisen wird wohl auch in Zukunft einen großen Teil unserer Zeit beanspruchen. Es ist nur noch nicht ganz klar, auf welche Art und Weise das erfolgen wird. Aber das wird sich schon finden. Ich habe jedenfalls keine Bedenken, dass wir neue und interessante Ziele auftreiben werden. Und vielleicht wird man uns dabei wieder virtuell begleiten können. Falls das so sein sollte, werden wir es an dieser Stelle jedenfalls kundtun.

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